„Ein Dokument der Einsperrung, der Versklavung, des Terrors und der ins völlig Absurde und Unerträgliche gesteigerten Pedanterie“: Was sich wie die Beschreibung eines neuen Fernsehkrimis anhört, ist der Klappentext eines satirischen Buches für Katzenhalter. Die Katze als Familienmitglied ist ein gängiges Bild geworden. Dass Tiere dem Menschen guttun, ist unbestritten. Doch wann wird Tierliebe zur Vermenschlichung, ab wann kann diese sogar schädlich für das Tier werden – und für den Menschen?
Die Beziehung zwischen Katze und Mensch ist eine ganz besondere – das kann jeder Katzenfreund bestätigen. Und so ist es kein Wunder, dass die Katze dem Hund seinen Titel als „besten Freund des Menschen“ streitig macht: Von den rund 22 Millionen Heimtieren in Deutschland sind 8,2 Millionen Katzen. Sie haben sich ihren Weg vom Kornspeicher in Herz und Haus des Menschen erschnurrt. Das ist kein Wunder: Tiere tun dem Menschen gut, ihre Zuneigung baut Stress ab und lässt uns das Positive im Leben sehen. In der tiergestützten Therapie entwickeln sie sich zu Eisbrechern, für viele allein lebende ältere Menschen sind sie engste Vertraute und Gesellschafter. Einer Studie des „Konrad Lorenz Research Station and Department of Behavioural Biology“ in Wien zufolge ist die Interaktion zwischen Katze und Mensch durchaus mit der Komplexität einer Interaktion zweier Menschen zu vergleichen. Obwohl das Reden mit Tieren oder gar mit Pflanzen oft als schrullig beurteilt wird, gaben in einer Studie des „Bündnis Mensch & Tier“ 87 Prozent der Frauen und 75 Prozent der Männer an, mit ihren Tieren zu sprechen. 58 Prozent der Teilnehmer betrachten Tiere als dem Menschen gleichwertig. Die Katze ist heutzutage nicht mehr nur Haustier, sondern Familienmitglied, Therapiepartner und manchmal auch Kindersatz.
Verhaltensforscher Konrad Lorenz formte den Begriff des „Kindchenschemas“: Ein großer Kopf mit einer übermäßig großen Stirnregion, große runde Augen, eine kleine Nase, ein kleines Kinn, rundliche Wangen und eine elastische, weiche Haut lösen einen Beschützerinstinkt beim Menschen aus. Ist es da ein Zufall, dass viele herausgezüchtete Merkmale bekannter Katzenrassen genau diesem Ideal entsprechen? Egal, ob Perserkatze oder Scottish Fold. Auch bereits ausgewachsene Katzen erscheinen uns mit derartigen Schlüsselreizen als „niedlich“ und rufen ein Fürsorgeverhalten hervor: Man möchte sie auf den Arm nehmen, knuddeln, hätscheln, kurz gesagt: bemuttern. So ist es kaum verwunderlich, dass die Katze nicht nur Familienmitglied wird, sondern ihr sogar menschliche Bedürfnisse und Eigenschaften zugesprochen werden. Das hat auch die Industrie erkannt. Tierzubehör- und Futterhersteller wissen, dass nicht das Tier Kunde ist, sondern Herrchen und Frauchen – und die entscheiden gern nach ihren eigenen Bedürfnissen und nicht nach denen von Mieze und Co. Katzenstreu mit Lavendelduft und appetitlich aussehendes Katzenfutter à la „Entendinner mit Süßkartoffeln in Gelee“ werden so zum Verkaufsschlager und laufen artgerechten, aber eventuell nicht so ansehnlichen Futtermitteln den Rang ab. Zur Weihnachtszeit gehören Geschenke für den Vierbeiner einfach dazu, auch in Tierzubehörläden ist im Dezember darum Hochsaison. Mittlerweile sind sogar spezielle Kostüme für Katzen erhältlich, besonders beliebt nicht nur zur Weihnachtszeit, sondern auch zu Karneval oder Halloween.
Der sogenannte „Anthropomorphismus“ ist schon lange aus Kunst und Literatur bekannt. Prominente Beispiele sind der Gestiefelte Kater oder Mickymaus. Allerdings macht diese Erscheinung nicht bei fiktionalen Kinder- und Märchenbüchern halt. Mittlerweile gibt es sogar Katzen, die mit einer eigenen Facebook-Fanseite, Homepage oder gar einem eigenen Buch aufwarten können. Wurden derartige Werke bisher nur von kleinen Verlagen veröffentlicht, haben nun auch große Verlagshäuser den Trend erkannt.
Michael Scherf ist Autor des „Katerbuchs“, einer satirischen Kurzanleitung zur Katzenpflege, in der Scherf den Kult, den man um seine Katze treiben kann, gründlich auf die Schippe nimmt. Das Buch ist „ein Dokument der Einsperrung, der Versklavung, des Terrors und der ins völlig Absurde und Unerträgliche gesteigerten Pedanterie“, wie der Klappentext verrät. „Satire kommt ohne Übertreibung nicht aus“, entschärft Michael Scherf. Der diktatorische Stil seiner Pflegeanleitung soll zeigen, wie weit es kommen kann, wenn die Katze immer stärker ins Zentrum der Wahrnehmung rückt, der Halter „sich viel stärker an ihr ausrichtet als sie an ihm“. Michael Scherf ist selbst Katzenhalter. Inspirationsquelle seines Werkes war der Familienkater sowie die von Menschenseite kollektiv entwickelten Schrullen ihm gegenüber. Das Problem liegt seiner Meinung nach vorwiegend in der modernen Haltungsart einer Katze: „Auf dem Land sind Tier und Mensch weniger stark aufeinander bezogen als in der Stadt, und beide können ihre Unabhängigkeit schon deshalb weitgehend bewahren, weil sie sich nicht so oft begegnen. Anders in einer Großstadtwohnung, wo die Katze oft keine Artgenossen hat und auf den angewiesen ist, der ihre Näpfe füllt.“
Tatsächlich: Psyche und Körper unserer Hauskatzen entsprechen noch denen ihrer wilden Vorfahren, selbst im hochgezüchteten Rassetier steckt eine Raubkatze – doch ihr Lebensumfeld unterscheidet sich essenziell von den Wüstengebieten, in denen ihre nahen Verwandten heute noch leben. Ein Besuch im Luxustierladen und Katzenkostüme zu Karneval mögen nicht jedermanns Geschmack sein, sind aber relativ harmlos. Anders sieht es aus, wenn Tierliebe durch den Magen geht und das Raubtier Katze plötzlich in viel zu viel nicht artgerechtem Futter schwelgen kann – oder muss. Leckerchen in Herzform sprechen den Menschen an, die Packungsaufschrift des angeblichen Festschmauses aus der Dose lässt dem Menschen das Wasser im Mund zusammenlaufen, ihre Inhaltsstoffe sind aber nicht immer artgerecht für die Katze. Übergewicht und Diabetes sind so zu einer kätzischen Zivilisationskrankheit geworden. „In vielen Fertigfuttern ersetzt preisgünstiges Getreide die hochwertigen fleischigen Bestandteile einer guten Nahrung. Der Stoffwechsel dieses kleinen Mäusejägers ist nicht auf die Verdauung von pflanzlichen Kohlenhydraten eingestellt“, erklärt Tierheilpraktikerin Andrea Schäfer. Katzenfreunde sollten darum nicht nach ihrem Bedürfnis nach kreativer Katzenfutterwerbung, einer ansprechenden Dosenaufschrift und einem appetitlich aussehenden Inhalt gehen, sondern nach dem, was das Raubtier Katze wirklich braucht. Als Tierfreunde sollten wir uns der Verantwortung, die wir für unser Tier tragen, bewusst sein. Das betrifft nicht nur das allgegenwärtige Thema der artgerechten Ernährung, sondern auch die Katzenhaltung speziell in der Wohnung. Nicht jeder mag es, seine Wohnung von deckenhohen Kratzbäumen aus Plüsch und Fensterliegen dominieren zu lassen – allerdings gibt es mittlerweile auch Zubehör für designbewusste Katzenhalter. Und selbst, wem das Geld für Designkatzenmöbel fehlt, kann seine Wohnung mit genügend, geschickt platzierten Kratz- und Rückzugsmöglichkeiten und ausreichend Katzentoiletten artgerecht gestalten. Ein zur Kratzwand umfunktioniertes Regal sieht gut aus und bietet Ihren Vierbeinern neben einer schönen Aussichtsplattform vielfältige Möglichkeiten zum Krallenwetzen und Verstecken nach Katzenart.
Der neue Status der Katze als Familienmitglied wirft bisher unbekannte Fragen auf. Die aktive Sterbehilfe unter Menschen ist nach deutschem Recht strafbar und heiß diskutiert. Darum ist es nur verständlich, dass Katzenhaltern Zweifel kommen, wenn es um das Einschläfern ihres leidenden vierbeinigen Gefährten geht. Wir neigen dazu, auch hier in menschlichen Maßstäben zu denken und zu vergessen, dass dies auch manchmal schädlich sein kann – denn genau dann, wenn es Leiden verlängert.
„Wenn es darum geht, das Tier von einem Leid zu erlösen, sollte Tierliebe im Vordergrund stehen und nicht verkappte Menschenliebe“, stellt auch Prof. Dr. Herwig Grimm vom Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München in seinem Artikel „Maßlose Tierliebe: Vermenschlichung als tierethisches Problem“ heraus. „Dem Tier gerecht zu werden bedeutet, es als Tier zu achten und nicht als Mensch oder Ding.“
Doch wie geht es nach dem Tod weiter? Ist das geliebte Tier gegangen, bleibt ein leerer Platz im Herzen. Trauern ist hier völlig normal und sogar notwendig, um den Verlust zu überwinden. Doch schon der Wunsch nach einem eigenen Grab für die Katze bleibt oft versagt: Laut Tierbeseitigungsgesetz dürfen Tiere, die an einer meldepflichtigen Krankheit gestorben sind, nicht im eigenen Garten begraben werden. Wer seinem Tier trotzdem ein ordentliches Begräbnis schenken möchte und es nicht beim Tierarzt zurücklassen will, kann auf spezielle Tierkrematorien und Tierfriedhöfe zurückgreifen. Während es bisher nur relativ wenige Tierkrematorien in Deutschland gibt, finden sich Tierfriedhöfe schon in der Nähe fast jeder großen Stadt. In München zum Beispiel haben Tierfreunde die Wahl zwischen einem anonymen Grab und einem Reihengrab, jeweils als Erd- oder Feuerbestattung. Derartige Stätten sind nicht nur ein dunkler Ort des Todes und der Trauer. „Wir möchten Trauernden einen Ort der Ruhe und Besinnung bieten, in dem sie Abschied von ihrem Tier nehmen können“, erklärt Gisela Nietfeld vom Kleintierkrematorium „Im Rosengarten“ im Interview mit Pfotenhieb. Hier gibt es eigene Verabschiedungsräume, in denen die Tierhalter noch einmal in Ruhe Abschied von ihrem Tier nehmen können. Das geht übrigens mittlerweile auch online: Zahlreiche Online-Trauerportale ermöglichen es, dem geliebten Tier virtuell ein Denkmal zu schaffen.
Menschliche Tierliebe
Ist es wirklich schlimm, in seiner Katze ein Familienmitglied und Partner zu sehen? Ist der, der seiner Katze eine Packung Leckerli und eine Spielmaus unter den Weihnachtsbaum legt, ein verträumter Idealist ohne jegliche Sozialkontakte, und hat der, der seiner Katze Möbel aus dem Designladen schenkt, einfach zu viel Geld? Natürlich nicht! Wir Menschen sind soziale Wesen – und das geht über unsere eigene Art hinaus. Dass Katzenschnurren Anspannung schmelzen lässt, ist durch viele Studien bewiesen, und oft reicht schon die reine Anwesenheit einer Fellnase, damit wir uns wohlfühlen. Unserer Katze etwas Gutes zu tun, ihr ein gemütliches Bettchen, leckeres Futter und schönes Spielzeug bieten zu wollen, ist darum verständlich – diese Aufmerksamkeit versüßt auch das Leben unserer Katzen. Dass wir dabei manchmal unsere eigenen Wünsche, Vorstellungen und Bedürfnisse als Maßstab nehmen, ist nur menschlich.
Möglichst viel über unsere vierbeinigen Familienmitglieder erfahren zu wollen, ist es aber ebenso – und so entdecken viele Katzenfreunde, dass Lavendelgeruch im Katzenstreu Ursache von Unsauberkeit sein kann und Ergänzungsfuttermittel in Gelee zwar lecker aussieht und auch gern angenommen wird, aber nicht unbedingt das Richtige für die kleinen Raubtiere ist. Luxuszubehör für Vierbeiner mag vielleicht nicht jedermanns Geldbeutel entsprechen und Weihnachtsgeschenke für die Katze sind eine reine Geschmackssache. Solange wir uns bewusst sind, dass wir hiermit vor allem unser eigenes Bedürfnis stillen, dass wir uns selbst Geschenke machen und weniger unserer Katze, schaden derartige „Schrulligkeiten“ nicht. Hellhörig sollten wir aber werden, wenn wir unsere Bedürfnisse über die unserer Katzen stellen. Extremkatzenrassen, die vielleicht dem Schönheitsideal einiger Menschen entsprechen, aber von Nachteil für die jeweiligen Katzen sein können, sind Grenzfälle – und wer sich überlegt, die Krallen seiner Katze ziehen zu lassen, um das neue Ledersofa zu schonen, sollte die Notbremse ziehen. Denn eines ist sicher: Wahre Katzenliebe besteht darin, die Bedürfnisse unserer Vierbeiner anzuerkennen und zu respektieren – auch dann, wenn es manchmal unbequem für uns ist.
Zum Weiterlesen:
Artikel „Ciao Mauzi – dem verstorbenen Tier ein Denkmal schaffen“
Artikel „Maßlose Tierliebe“
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