Schon Leonardo da Vinci war sich sicher: „Schon die kleinste Katze ist ein Meisterwerk.“ Katzenhalter wissen natürlich, dass Katzen etwas ganz Besonderes sind. Doch von den emotionalen Gesichtspunkten mal abgesehen – haben Katzen tatsächlich „Extras“, die bei anderen Tierarten nicht zu finden sind?
von Susann Mattern
Die Augen der Katze sind in Relation zum Schädel die größten aller fleischfressenden Säugetiere. Sie sind nach vorn gerichtet und ihre Sehachsen überschneiden sich stark. So kann die Katze in einem großen frontalen Bereich dreidimensional sehen und damit Entfernungen perfekt abschätzen. Seitlich ist die Sicht zwar nur noch zweidimensional, dafür sorgt der sehr weite Sichtwinkel dafür, dass Bewegungen in diesem Bereich sofort wahrgenommen werden und zum Beispiel rechtzeitig vor Feinden warnen. Unbewegte Objekte hingegen wecken kein Interesse, egal in welchem Teil des Sichtfeldes sie sich befinden.
Die wahre Stärke der Katzenaugen liegt in ihrer Lichtempfindlichkeit. Sie besitzen sozusagen eine „Blendenautomatik“: Die Muskeln in der Regenbogenhaut sorgen dafür, dass sich die Pupille der Katze zu einem vertikalen Schlitz zusammenzieht, um vor zu viel Licht zu schützen, oder sich zu einem Kreis ausdehnt, um möglichst viel Licht einzulassen. Diese Lichtsignale werden durch die Vielzahl von Stäbchen in verwertbare Informationen für das Gehirn umgewandelt. Durch diese Überproportion von Stäbchen gegenüber den Zapfen kann das Katzenauge das vorhandene Licht viel besser nutzen als zum Beispiel der Mensch. Noch bemerkenswerter ist aber das Tapetum lucidum, eine Zellschicht hinter der Netzhaut, die das einfallende Licht – und sei es noch so wenig – reflektiert und auf die Sinneszellen zurückwirft. Diese Reflektion ist auch schuld daran, wenn des Nachts die Katzenaugen aus dem Dunkel aufleuchten und den ein oder anderen erschreckt zusammenzucken lassen. Ist übrigens gar kein Licht vorhanden, sieht auch eine Katze nichts.
Die Sehkraft der Katzenaugen selbst ist allerdings nicht außergewöhnlich: Richtig scharf sehen Katzen nur in der wichtigen Entfernung von zwei bis sechs Metern – also in dem Bereich, der mit ein bis zwei Sprüngen erreicht werden kann, etwa um Beute zu fassen. Das liegt an den verhältnismäßig wenigen „Zapfen“ der Netzhaut. Neben der Schärfe sind diese spezialisierten Zellen auch für das Farbensehen zuständig. Durch die reduzierte Zahl an Zapfen sind Katzen nicht farbenblind, sehen aber vorrangig Blau- und Grüntöne.
Im Katzengesicht zeigt sich noch eine andere Besonderheit: die Schnurrbarthaare. Diese sogenannten Vibrissen zeigen mit ihrer Stellung die Stimmung der Katze an, sind aber vorrangig eines der wichtigsten Sinnesorgane des kleinen Raubtiers. Mit ihrer Hilfe nimmt sie Berührungsreize wahr und kann sich auch bei Dämmerung und Dunkelheit räumlich orientieren. Die beweglichen Vibrissen sind in Follikel eingebettet, die jeweils zwischen zwei Schichten eine Blutkapsel enthält. In deren Wand liegen viele Nervenenden, die schon kleinste Bewegungen wahrnehmen. Stößt ein Schnurrhaar nun auf Widerstand oder spürt auch nur den Luftwirbel, der sich bewegende oder fixierte Objekte umgibt, leiten die Nervenenden in der Kapsel ein Signal an das Katzenhirn. So helfen die Haare dabei, sich bei Tag und Nacht zurechtzufinden, Gefahren zu erkennen und sogar bei der Nahrungssuche. Diese hochempfindlichen Tasthaare sitzen übrigens nicht nur am Bart, sondern auch über den Augen und an den Rückseiten der Vorderbeine. Dort nehmen sie feinste Bodenerschütterungen wahr, wie sie beispielsweise eine laufende Maus verursacht. Die Tast- und Schnurrhaare können ausfallen, wachsen aber wieder nach.
Mit dem Schnurrlaut haben die berühmten Schnurrbarthaare übrigens gar nichts zu tun – zumindest nicht nach heutigem Kenntnisstand. Denn wie genau das Schnurren funktioniert, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Das Schnurren könnte durch „falsche“ Stimmbänder ausgelöst werden, die hinter den normalen Stimmbändern sitzen und auch Vorhoffalte genannt werden. Durch den Luftstrom beim Atmen entstehen so die Schnurrgeräusche. Schwachstelle der Theorie: In diesem Fall müsste das Schnurren eigentlich durch das Atmen unterbrochen sein. Eine andere Theorie besagt, dass das Schnurren durch das Geräusch strömenden Blutes hervorgerufen wird, welches im Brustraum der Katze am Zwerchfell vorbei durch enge Venen fließt. Diese Vibration könnte von den Bronchien und dem Kehlkopf verstärkt als Schnurrgeräusch wahrgenommen werden. Auch diese Annahme hat einen Haken: In diesem Fall könnten auch Hunde und Menschen schnurren… Sehr viel logischer klingt die Erklärung, dass das Schnurren durch Reibung der Atemluft am verknöcherten Zungenbein entsteht. Bei Großkatzen ist das Zungenbein elastisch, sie können nur beim Ausatmen schnurren. Eine Ausnahme wäre hier der Schneeleopard, der trotz elastischen Zungenbeins ununterbrochen schnurren kann. Die derzeit beliebteste Theorie besagt, dass das Gehirn in entsprechenden Situationen Impulse an den Kehlkopf leitet und diesen damit in hörbare Schwingungen versetzt. Sicher ist nur eins: Katzen schnurren, wenn sie sich wohlfühlen oder um sich in Stresssituationen selbst zu beruhigen.
Diese Fähigkeit zur Selbstberuhigung führt uns zum Putzen. Katzen verbringen einen Großteil des Tages mit der Fellpflege. Auf einer Katzenzunge befinden sich kleine Häkchen, die das Fell kämmen und dabei Dreck, lose Haare oder Ungeziefer entfernen. Gleichzeitig wird beim Lecken Talg aus den Drüsen an den Haarwurzeln im Fell verteilt. Das schützt vor Feuchtigkeit, lässt es glänzen und sorgt durch die Reaktion mit Sonnenlicht für eine Produktion von Vitamin D, das dann beim nächsten Putzen aufgenommen wird. Zum Putzen gehört auch die Pflege der neben den Zähnen wichtigsten Werkzeuge der Katze: ihrer Krallen. Diese fährt sie, im Gegensatz zu den meisten anderen Säugetieren, nur bei Bedarf aus. Sonst halten elastische Bänder die Krallen in den Krallenscheiden. So kann sie nahezu geräuschlos laufen oder Dinge ertasten, ohne dass die Krallen stören oder zu schnell abgenutzt werden.
Durch Spannen einer Beugesehne kommen die messerscharfen Krallen in Sekundenschnelle zum Vorschein und helfen der Katze beim Klettern, Kämpfen, Jagen und dem Setzen von Kratzmarkierungen. Diese sind ein notweniger Teil des Katzenverhaltens. Aus Mangel an artgerechten Kratzmöglichkeiten, Langeweile oder aufgrund anderer Verhaltensprobleme benutzen Hauskatzen hier aber auch manchmal Teppichböden, Möbel und Wände, anstatt sich an den hierfür angeschafften Kratzbaum zu halten. Das ist nicht immer im Sinne des Halters – ignoriert die Katze das laute „NEIN“ ihres Herrchens oder Frauchens, liegt dies aber nicht an ihren Ohren, denn diese funktionieren ziemlich gut.
Unsere Katze weist einen außergewöhnlichen Hörsinn auf, der leistungsfähiger als der von Hunden oder uns Menschen ist. In niedrigen Frequenzen hören Katzen so gut wie wir Menschen, in mittleren und hohen Frequenzen sind sie uns weit überlegen. Das ist kein Wunder: Die obere Frequenzgrenze von etwa 100 kHz entspricht den hohen Geräuschen, die Mäuse von sich geben.
Derartige Höchstfrequenzen werden bei Katzen erstaunlicherweise in dem Gehirnbereich verarbeitet, der auch für das Sehen zuständig ist. Diese einzigartige audiovisuelle Nutzung könnte auch ein Grund dafür sein, dass Katzen selbst aus mehreren Kilometern Entfernung den Weg nach Hause problemlos finden. Diese Fähigkeit wird als „Ortssinn“ bezeichnet und ist bisher nicht eindeutig wissenschaftlich geklärt. Es könnte sein, dass die Katze „Hörbilder“ ihres Zuhauses abspeichert, die sich aus Lautstärken, Geräuschmischungen und deren Einfallswinkeln zusammensetzen. Sucht sie den Weg nach Hause, vergleicht sie, bis alles stimmt. Einer anderen Theorie zufolge richten sich Katzen nach dem Stand der Sonne in Verbindung mit ihrer eigenen „inneren Uhr“. Ist es Zeit sich zu putzen und die Sonne steht nicht am gewohnten Punkt, stimmt irgendetwas nicht. Wahrscheinlicher klingt die Theorie, nach der sich Katzen an elektromagnetischen Feldern orientieren. Es gibt Untersuchungen, bei denen mit Magneten ausgestattete Katzen ihren Weg schlechter gefunden haben. Dennoch sind Geschichten, nach denen Katzen den Heimweg über Hunderte von Kilometern Entfernung gefunden haben oder ihren Menschen an Orte folgen, an denen sie nie zuvor waren, mit Vorsicht zu genießen.
Die wie Schalltrichter wirkenden Ohren einer Katze sind unabhängig voneinander in verschiedene Richtungen beweglich und ermöglichen so das genaue Aufspüren eines Geräusches. Dabei hilft zusätzlich der Antitragus, eine an der Außenseite der Katzenohren befindliche „Tasche“ zum Richtungshören. Katzen sind aufmerksame Tiere. Selbst im Schlaf zeigen sie sich sprungbereit – sei es zum Schutz vor Fressfeinden oder zum Ergreifen von Beute. Hier greift die sogenannte „selektive Geräuscherkennung“. Um Ruhe zu finden und sich entspannen zu können, werden zwar die gewohnten Geräusche aus der Umgebung einfach „ausgeblendet“ und gar nicht erst an das Gehirn weitergegeben, wichtige Reize wie das Fiepen einer Maus, ein herannahender Hund oder das Öffnen einer Futterpackung versetzen die Katze allerdings sofort in Bereitschaft.
Ein weiterer bemerkenswerter Sinn der Katze ist ihr ausgeprägtes Gleichgewichtsgefühl. Das Vestibularorgan im Innenohr ist so aufgebaut und angeordnet, dass es der Katze immer (auch im Sprung) ermöglicht, den Kopf gerade zu halten. Durch die flexible Wirbelsäule, die aus 240 Einzelknochen besteht und von rund 500 Muskeln umgeben ist, und die leichten, aber festen Knochen und Schultern, die nur durch Muskeln und Bänder mit der Wirbelsäule verbunden sind, sind Katzen außergewöhnlich beweglich. Sie können den Verlust ihrer Balance blitzschnell ausgleichen. Hilfreich beim Ausbalancieren und Steuern ist hier auch der lange Schwanz.
Sollte ein Absturz doch einmal nicht zu vermeiden sein, sorgt der Stellreflex für eine meist sichere Landung – vorausgesetzt, die Fallhöhe ist ausreichend. Denn eine Katze ist zwar in der Lage, sich im Fall aus der Rückenlage um 180 Grad zu drehen, eine volle Drehung benötigt aber auch eine entsprechende Zeit im freien Fall. Zuerst werden Kopf und Vorderkörper gedreht, dann folgt der Rest. Das Fell der Katze kann zudem wie ein Fallschirm wirken und verringert so die Fallgeschwindigkeit. Ausgestreckte Beine, ein Katzenbuckel, gepolsterte Pfoten und dehnbare Gelenke erleichtern eine weiche und sichere Landung. Garantiert ist sie aber dennoch nicht, ein Fall aus zu großer Höhe kann fatal für die Katze sein.
Sie sehen: Unsere Katzen sind perfekt auf das Leben in freier Natur angepasste Kleinjäger und haben durch die lange gemeinsame Geschichte mit dem Menschen keines ihrer „Extras“ verloren.
Zur Autorin:
Susann Mattern war 2007 Gründungsmitglied des Pfotenhieb-Magazins und ist seitdem als freie Autorin für Pfotenhieb tätig. Sie lebt mit ihrer zwei- und vierbeinigen Familie in der Nähe von Braunschweig.
Zum Weiterlesen:
Marlitt Wendt, „Wie Katzen ticken“
Marlitt Wendt, „Kätzchen mit Köpfchen“
Marlitt Wendt, „Mit dem Click zum Katzenglück“
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