Katzengesundheit

Die Krankheit mit dem Zungenbrecher: Orofaziales Schmerzsyndrom bei der Katze

Ein Fellball, drohendes Erbrechen? Das orofaziale Schmerzsyndrom bei der Katze, oft auch orofaciales Schmerzsyndrom geschrieben, wird gerne übersehen und verharmlost – kein Wunder, ist die schon Anfang der 90er Jahre bei Burmakatzen entdeckte Erkrankung auch unter Fachleuten immer noch relativ unbekannt. Nur selten werden die Symptome mit einer ernsthaften neurologischen Erkrankung in Verbindung gebracht.

Diese Krankheit ist ein Zungenbrecher – im wahrsten Sinne des Wortes. Das Orofaziale Syndrom sorgt für Schmerzen im gesamten Gesichts-, Kiefer- und Zungenbereich der Katze. Die Symptome werden gerne von Haltern missinterpretiert und nur selten als Grund eines Tierarztbesuches angesehen: Ein häufiges Schlucken und Lecken sowie Kaubewegungen mit gleichzeitiger Pfotenbewegung zum Mund könnten auch Anzeichen eines Fellballs, eines drohenden Erbrechens oder eines quersitzenden Leckerchens sein… Harmlos ist die Erkrankung dabei absolut nicht. Bei extremen neurologischen Schmerzepisoden können die häufigen Pfotenbewegungen ans Maul zu Verletzungen und Verstümmelung führen.

Was die Diagnose erschwert: Im Gegensatz zum festsitzenden Haarball können die Symptome regelmäßig auftreten und Anfälle bis zu Stunden dauern – sie müssen es aber nicht. Bei der gelegentlich auftretenden Form erscheint die Katze zwischen den seltenen Schmerzepisoden normal, zeigt keinerlei Anzeichen bis zu einem plötzlich auftretenden Anfall, der nur wenige Minuten dauern kann. Das Ganze verschlimmert sich in der chronischen Form, die von fortlaufendem Stress und Unwohlsein mit immer länger dauernden Anfällen sowie häufigem Erbrechen begleitet wird.

Die Ursachen
Die Ursache des Gesichtsschmerzes ist eine Schädigung des fünften Hirnnerves, der auch „Zwillingsnerv“ oder „Trigeminus“ genannt wird. Während der Trigeminusnerv normalerweise für eine Weiterleitung von sensorischen Informationen wie Schmerz, Berührung und anderen Reizen zum Gehirn zuständig ist, können eine chronische Zahnentzündung oder eine angeborene Verengung der Trigeminuswurzel zu einer Entzündung des Nerves und einem chronischen Schmerzen im Gesichtsbereich führen. Faktoren wie Kauen oder Schlucken lösen den Schmerz im Akutfall aus und sorgen für eine Verschlimmerung. Als Reaktion kauert sich die Katze auf den Boden, macht Kau- und Schluckbewegungen sowie Leckbewegungen mit der Zunge und versucht, mit Pfote und Krallen die Ursache des Unwohlseins zu beseitigen. Je nach Länge und Intensität der Anfälle kann es dabei zu schweren Verletzungen kommen.

92 Prozent der betroffenen Katzen sind Burmesen, weiter sind die verschiedenen Kurzhaar-Rassen sowie Siamesen, Burmilla und Tonkinesen betroffen. Das orofaziale Syndrom scheint also im höchsten Maße genetisch bedingt zu sein, ist aber natürlich nicht auf diese Rassen beschränkt. Andererseits bricht nicht bei jeder Katze mit einer Veranlagung für das Schmerzsyndrom die Krankheit auch wirklich aus. Um die Zusammenhänge zu erforschen, gibt es seit einiger Zeit ein DNA-Sammelprogramm in Zusammenarbeit mit dem DNA Archiv für Haustiere in Manchester (weitere Informationen am Ende dieses Artikels).

Erste Symptome zeigen sich häufig nach dem Verlust der Milchzähne und der Entwicklung eines permanenten Gebisses. Mittlerweile wurde auch eine Verbindung zwischen Zahnerkrankungen und dem Ausbruch der Krankheit hergestellt. Eine Infektion mit Calici-Viren kann ebenfalls Auslöser sein. Alles in sllem scheinen Läsionen im Mundbereich und neuronaler sowie sozialer Stress die Entstehung der Krankheit zu begünstigen, so will eine neuere Studie gezeigt haben, dass eine von fünf betroffenen Katzen unter sozialem Stress im Mehrkatzenhaushalt steht. Hierbei gilt aber zu beachten, dass Stress ein auslösender Faktor für fast jede Erkrankung sein kann…

Die Diagnose
Das Orofaciales Schmerzsyndrom ist bisher nur wenig erforscht, aussagekräftige und eindeutige Testverfahren gibt es nicht. Tierärzten bleibt nur eine Auswertung der auftretenden Symptome sowie ein Ausschluss anderer Erkrankungen, um den Neuralschmerz zu diagnostizieren. Für die betroffenen Katzen bedeutet das nicht selten, dass der Behandlung lange schmerzhafte Monate oder gar Jahre voran gehen…
Katzenhaltern, die eine chronische Schmerzerkrankung ihrer Katze vermuten, bleibt oft nur der Gang zum Zahnspezialisten, um Zahn- und Kiefererkrankungen auszuschließen. Aufgrund dem erwiesenen Zusammenhang zwischen Zahn-, Zahnfleisch- und Kiefererkrankungen kann eine konsequente Behandlung dieser oft das Schlimmste abwenden. Eine vollständige Blutdiagnose kann auf eventuell vorhandene andere Erkrankungen oder Entzündungen im Organismus hinweisen. Untersuchungen der Gesichtsnerven, eine Kernspintomographie sowie die Entnahme und Untersuchung von Knochenmarkflüssigkeit sind weitere Schritte auf dem Weg zur Diagnose.

Die Behandlung
Bei akuten Anfällen ist es wichtig, die Katze vor Selbstverstümmelung zu bewahren. Ein Bandagieren der Pfoten ist in diesem Fall häufiges Mittel der Wahl bis zur eindeutigen Diagnose. Die Schmerzen oder gar die Ursache dieser lindern Bandagen natürlich nicht.

So wenig eindeutige Diagnosemöglichkeiten es gibt, so wenig Behandlungsmöglichkeiten stehen Tierärzten zur Verfügung. Mangels zugelassener Alternativen ist das Mittel der Wahl oft Schmerzmittel: Wurden alle weiteren Ursachen inklusive Zahnerkrankungen ausgeschlossen, können diese die Schmerzen lindern und den Symptomen so vorbeugen.

Bei dem Orofazialen Syndrom beim Menschen wurden Erfolge mit Anti-Epileptika erziehlt, die die verwirrten Nerven beruhigen sollen. Diese Medikamente sind aber bisher noch nicht für den Gebrauch in der Tierarztpraxis zugelassen. Bisher gibt es dokumentierte Behandlungserfolge mit diversen Anti-Epileptika wie Neurontin – allerdings besteht auch hier bisher keinerlei Zulassung für die Anwendung bei Katzen.

Bei unbekannte Erkrankungen wie dem Orofaziales Schmerzsyndrom bleiben oft nur wenige Möglichkeiten für eine zeitnahe Diagnose und Behandlung. Katzenfreunde, die ihrer Katze unnötiges Leid ersparen möchten, sollten darum die Augen offenhalten, bei einem Auftreten typischer Symptome gleich den Tierarzt aufsuchen, ihren Verdacht äußern und den Gang zum Spezialisten nicht scheuen. Das orofaziale Schmerzsyndrom kann zwar nicht geheilt werden, bei einem raschen Handeln können die Symptome aber gelindert werden. Dank Langzeitmedikation können betroffene Katzen so ein ungestörtes Leben ohne Schmerzen genießen.

Quellen und weitere Informationen:

Videoaufzeichnungen typischer Symptome bei der Katze:
Video 1 Orofaziales Syndrom Katze

Video 2 Orofaziales Syndrom Katze

Weitere Informationen:
Informationsseite einer neuseeländischen Tierärztin zum Orofazialen Syndrom [Englischsprachig]

https://www.fabcats.org/breeders/infosheets/orofacial/orofacial.html [Englischsprachig]

Informationen zum DNA-Sammelprogramm der Universität Manchester

Informationsblatt [Englischsprachig]

Feline orofacial pain syndrome (FOPS): A retrospective study of 113 cases [Englischsprachig]

Trigeminus-Neuralgie beim Menschen

Informationen zu Neurontin/Gabapentin

Behandlung mit Gabapentin [Englischsprachig]